Für zehn Minuten sah es so aus, als wäre alles umsonst gewesen. Naomi Osaka lag im Damen-Finale der Australian Open gegen Petra Kvitova am Samstagmorgen mit 7:6, 5:3 und 40:0 vorne. Drei Matchbälle also, was konnte da noch schiefgehen? Vier Spiele später war klar: wie sooft im Tennis möglicherweise alles.
Die 21-jährige Japanerin, schon vor den Australian Open die große Tennis-Hoffnung der nächsten Dekade, zeigte Nerven: Sie bekam das Match nicht ausserviert, leistete sich Fehler, die man eineinhalb Stunden zuvor nicht gesehen hatte, haderte, verzweifelte, schlug ihren Schläger gegen den Tennisschuh und dann patzig den Ball weg, hielt sich die Ohren zu, ging symbolisch in die Knie – es flossen am Ende des verlorenen zweiten Satzes sogar ein paar Tränen.
In diesen Augenblicken sah Naomi Osaka in der Rod Laver Arena in Melbourne wie eine normale 21-Jährige aus, die eine große Prüfung verpatzt zu haben schien – eine halbe Stunde später jedoch war sie die strahlende Siegerin der 107. Australian Open, dem als „Happy Slam“ bekannten ersten Grand Slam-Turnier des neuen Tennisjahres.
Die nächste Werbeikone des Weißen Sports
Das kleine, nur allzu menschliche Drama ums große Tennis ist nur ein Grund, warum Naomi Osaka die Herzen der Zuschauer rund um den Globus zufliegen. Sportlich besitzt Osaka ohnehin alle Qualitäten, die den Superstarstatus rechtfertigen: Einen starken Aufschlag, Power-Grundlinientennis, Nervenstärke. Was die 21-Jährige indes zur nächsten Werbeikone des Weißen Sports macht, ist die Persönlichkeit und Story, die die Tochter eines Haitianers und einer Japanerin mitbringt.
Geboren im japanischen Osaka (Naomi Osaka: „Alle, die hier geboren werden, heißen so“), zog sie mit ihren Eltern im 4. Lebensjahr in die USA nach New York und später nach Florida. Sie besitzt beide Staatsbürgerschaften (hat sich aber früh entschieden, für den japanischen Verband zu spielen) – und offenkundig das Beste aus beiden Kulturen. Osaka bringt fernöstliche Demut und amerikanische Unbeschwertheit mit.
Perfektes Aushängeschild der Generation Instagram
Wer Naomi Osaka auf der Couch von Ellen DeGeneres oder bei ihren amüsanten, weil selbstironischen On-Court-Interviews erlebt („Dies ist wahrscheinlich die schlechteste Siegesansprache aller Zeiten“), könnte sie für das perfekte Aushängeschild der Generation Instagram halten.
Sie ist jung, attraktiv, entwaffnend charmant, modebewusst (was ihr eine Titelstory in der GQ eingebracht hat) – und vor allem eine globale Marke, die von New York bis Tokio einen enormen Wiedererkennungswert besitzt. Keine andere Tennisspielerin ist wie Naomi Osaka: weder auf noch neben dem Court.
Adidas zahlt 8,5 Millionen Dollar pro Jahr für neuen Werbevertrag
Die werbetreibende Wirtschaft hat das Potenzial des nächsten Tennis-Wunderkindes erkannt – und im letzten Jahr im großen Stil auf sie gewettet. Adidas hatte Osakas Entwicklungsmöglichkeiten früh entdeckt und sie bereits als 16-Jährige unter einen langfristigen Vertrag genommen, der 2018 auslief – ausgerechnet, als die Japanerin gerade in einem denkwürdigen Finale die US Open gegen ihr Vorbild Serena Williams gewonnen hatte.
Also griffen die Herzogenauracher tief in die Tasche und sicherten sich die Dienste des NextGen-Shootingstars mit dem besten Deal, den sie bis dato je einer Sportlerin geboten hatten: für 8,5 Millionen Dollar – pro Jahr.
Neuer Werbestar Japans
Es war der Auftakt zu einer Flut von neuen Werbeverträgen, mit denen Osaka aus Nippon förmlich überschüttet wurde. Während sich Uhrenhersteller Citizen frühzeitig Osakas Unterschrift gesichert hatte, zog der japanische Autobauer Nissan wenige Tage nach dem US-Open-Triumph ebenso wie Kosmetikhersteller Shiseido mit einem Mehrjahresvertrag nach, während die einheimische Fluggesellschaft All Nippon Airways (ANA) Osakas Dienste als neue Werbebotschafterin zu Jahresbeginn präsentierte.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
So happy to be partnered with @allnipponairways_official ✈️?❤️
„Es ist sehr, sehr selten, eine in Japan geborene Sportlerin zu finden, die die Begehrlichkeit eines internationalen Publikums weckt“, erklärt Sportmarketing-Experte Bob Dorfman Osakas werbliche Attraktivität.
„Ihr Marketingpotenzial geht durch die Decke“, freute sich auch ihr Agent Stuart Duguid von der Vermarktungsagentur IMG bereits im vergangenen Herbst nach dem Titel in New York. Nach dem Triumph von Melbourne, der Osaka ab heute sensationell als erste Asiatin zur neuen Nummer eins der Tennisweltrangliste macht, dürften weitere Werbeverträge mit Getränkeanbietern, Konsumgüterherstellern und Finanzdienstleistern nur eine Frage der Zeit sein.